Abtreibung: Die Sicht eines liberalen Rabbiners
In einer Zeit, in der die Abtreibungsdebatte wieder verstärkt in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit rückt, gibt es viele unterschiedliche Meinungen und Positionen. Einige Religionsvertreter sprechen sich gegen die freiwillige Schwangerschaftsabbruch aus, während andere die Rechte der Frauen auf Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper betonen. In diesem Kontext nimmt der liberale Rabbiner Rabbi Jonathan Romain eine bemerkenswerte Position ein. Er äußert sich öffentlich zu dieser kontroversen Frage und teilt seine eigenen Überzeugungen mit uns. In diesem Artikel erfahren Sie, wie Rabbi Romain die Abtreibung aus seinem religiösen und ethischen Blickwinkel sieht.
Rabbiner spricht aus: Die Legalisierung von Abtreibungen aus jüdischer Perspektive
Als im April der Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin mit der Empfehlung zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs veröffentlicht wurde, war das mehr als nur ein Funke der Hoffnung auf die Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch. Es vermittelte das Gefühl, dass es endlich, noch in dieser Legislaturperiode, tatsächlich dazu kommen würde.
Aktuell ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn er unter definierten Bedingungen straffrei bleibt. Bis zum 8. Dezember laufen bundesweit Aktionen eines Bündnisses für die Legalisierung von Abtreibungen. Auch ich, als Rabbiner, unterstütze das.
Das Leben und das Wohlergehen der Schwangeren an erster Stelle
Aus jüdischer Perspektive stehen das Leben und das Wohlergehen der Schwangeren an erster Stelle. Ein potenzielles Leben ist schützenswert, aber nicht mit dem der Schwangeren gleichzusetzen. Daher gibt es bei uns keine kategorische Verurteilung des Schwangerschaftsabbruchs, einer äußerst schwerwiegenden Entscheidung.
In jedem Fall sollte es die Entscheidung der Frau sein, und sie sollte von Personen beraten und begleitet werden, denen sie vertraut.
Die Diskussion um die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs
Die Diskussion um die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs wird unnötigerweise durch emotional aufgeladene Begriffe wie „Lebensschutz“ erschwert. Die Kämpfer für „Lebensschutz“ implizieren, dass die Befürworter der reproduktiven Selbstbestimmung gegen das Leben seien oder leichtfertig damit umgingen.
Geht es diesen Kämpfern wirklich um den Schutz des Lebens oder eher einfach darum, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu erschweren?
In einer liberalen Demokratie, die auf dem Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates begründet ist, sollte diese Diskussion auf Evidenz der medizinischen Forschung und der Erfahrung von real existierenden Frauen aufbauen anstatt auf theologischen Spekulationen.
Unser Autor ist Vorsitzender der Liberalen Rabbinervereinigung und leitet die Liberale Jüdische Gemeinde Luxemburgs. Er wechselt sich hier mit der katholischen Theologin Dorothea Sattler, der evangelischen Religionslehrerin Anne Schneider und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ab.
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