Was der Komponist György Kurtág aus Kafka-Fragmenten machte

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Was der Komponist György Kurtág aus Kafka-Fragmenten machte

Der ungarische Komponist György Kurtág ist bekannt für seine eindrucksvollen Werke, die sich aus Fragmenten der Literaturgeschichte speisen. In seinem letzten Werk widmete er sich den Schriften von Franz Kafka, einem der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Kurtág suchte in den Kafka-Fragmenten nach musikalischen Anregungen und fand sie in der düstren Poesie und den existentiellen Fragen, die Kafka in seinen Werken aufwarf. Die Musik, die Kurtág daraus entwickelte, ist von einer tiefen Ernsthaftigkeit geprägt und bietet einen neuen Blick auf das Werk Kafkas.

Einmal brach ich mir das Bein, es war das schönste Erlebnis meines Lebens

Einmal brach ich mir das Bein, es war das schönste Erlebnis meines Lebens

Wer so einen Satz in sein Tagebuch schreibt, muss entweder über einen besonders dunklen Humor verfügen, Franz Kafka heißen – oder beides. Ein Schnipsel, der vielleicht mehr über den Autor aussagt als ein ganzer Roman.

Bei einigen der wichtigsten Texte Kafkas („Der Prozess“, „Das Schloss“, „Der Verschollene“) handelt es sich genau genommen um Fragmente. Er hat seine großen Werke nie vollendet. Vielleicht gerade deshalb wird der Autor seit Jahrzehnten vom ungarischen Komponisten György Kurtág – der zwei Jahre nach Kafkas Tod geboren wurde – so sehr verehrt, dass er aus einigen von Kafkas Schnipseln 2006 jede Menge Miniatur-Lieder schuf: 40 Stücke sind es, geschrieben für Geige und Sopran, das kürzeste kaum länger als zehn Sekunden.

Die Texte bestehen aus Ausschnitten aus Kafkas Briefen, Notizen und Tagebüchern. Was die Lieder so genial macht, ist ihre Kompaktheit. Eine gute Geschichte braucht einen Anfang und ein Ende – und im Idealfall eine Pointe. Viele Worte braucht sie hingegen nicht.

Am 19. Juli 1910 schrieb Kafka in sein Tagebuch: „Geschlafen, aufgewacht, geschlafen, aufgewacht, elendes Leben!“ Ist damit nicht alles gesagt über den Alltag von einem, der stets mit sich, seiner Gesundheit und nicht zuletzt auch der Liebe haderte?

In Verbindung mit der Geige, die sich mal kratzbürstig auf die Verse stürzt, mal melancholisch Visionen von Träumen und Blumen in die Luft zaubert, wird der bissige Witz Kafkas in Kurtágs „Kafka-Fragmenten“ noch ein bisschen sichtbarer, als er ohnehin ist. „Auf Balzacs Spazierstockgriff: Ich breche alle Hindernisse. Auf meinem: Mich brechen alle Hindernisse. Gemeinsam ist das ,alle´.“

Kurtág vertonte auch mysteriöse Naturbeschreibungen und rätselhafte Kurzmärchen Kafkas. 1918 schrieb der Schriftsteller in sein drittes Oktavheft zwischen allerlei Notizen über seinen Alltag („Versuch nach Michelob zu gehn. Kot“) und Betrachtungen über das Leben („Ein Glaube wie ein Fallbeil, so schwer, so leicht“) die folgende Geschichte: „Staunend sahen wir das große Pferd. Es durchbrach das Dach unserer Stube. Der bewölkte Himmel zog sich schwach entlang des gewaltigen Umrisses und rauschend flog die Mähne im Wind.“

Dass Kurtág sich als Partnerin des Soprans ausgerechnet die Geige ausgesucht hat und nicht etwa das Klavier, ist kein Zufall. Es ergibt sich kein klassisches Liedduo, das Verhältnis zueinander muss immer wieder neu ausgelotet und definiert werden. In der einen Miniatur kommentiert die Geige den Gesang, in der nächsten ist es andersherum. Manchmal kämpfen beide Seite an Seite.

Ähnlich verhält es sich bei der Beziehung von Musik und Text: Es gibt immer wieder Überraschungen, plakativ und eintönig ist es nie.

Wer sich traut, die Ironie der kurzen Texte abzustreifen und sich emotional auf sie einzulassen, hat gute Chancen, in Kafkas Strudel der Melancholie mitgerissen zu werden. Manchmal ist für diesen Prozess nur eine einzige Zeile notwendig. „Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen.“ Gute Literatur muss nicht lang sein. Manchmal lohnt es sich, sich auf das Wesentliche zu beschränken.

Jochen Müller

Ich bin Jochen, Redakteur der Webseite Haren Suche, einer nationalen Zeitung für das Zeitgeschehen. Mit strenger Objektivität bringe ich meinen Lesern die neuesten Nachrichten. Meine Leidenschaft für präzise Berichterstattung spiegelt sich in meinen Artikeln wider, die auf Fakten basieren und einen neutralen Blick auf aktuelle Ereignisse bieten. Als Journalist strebe ich danach, meine Leser stets informiert zu halten und ihnen eine fundierte Perspektive auf das Geschehen zu bieten.

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